Gibt es etwas schöneres, als Kindern beim Spielen zuzuschauen? Versunken in ihr Tun bauen sie sich eigene Welten, verwerfen sie wieder und errichten neue. So kommen sie mitunter zu erstaunlichen Ergebnissen. Es gibt wohl nichts, das besser geeignet ist, solche Kreativität zu wecken als die guten alten Legosteine.
Da gibt es ein Brüderpaar, beide so ungefähr im Grundschulalter, wir wissen nicht genau wo sie leben, wir wissen auch nicht, wie sie heißen, darum nennen wir sie einfach Hans und Franz. Jemand hat sie wohl beobachtet, nachdem ihnen das Christkind eine große Kiste bunte Legos beschert hat, viele hundert davon, aber dummerweise – oder klugerweise? – nur die ganz einfachen Grundformen, ein paar Räder dazu und mehr nicht. Die Jungs haben auch ein paar gleichaltrige Freundinnen und Freunde eingeladen, die mindestens genauso schaffensfreudig sind wie die beiden selbst. Man muss annehmen, dass die Bedingung für die Einladung das Investieren eigener Legoklötzchen war, denn keiner steht ohne solche da. Überlassen wir nun die Kinder ihrem Spiel und erfreuen uns an dem Geschehen....
Aus dem vermeintlichen Chaos wild unter dem Christbaum durcheinander geschütteter Teile entstehen schnell die ersten erkennbaren Formen.
„Was bauste denn da?“, fragt Hans einen der Kumpels.
„‘N Flugzeug natürlich, sieht man doch. Mit genau so eins bin ich mit meim Papa schon mal geflogen. Guck, da sind die Flügel, und das ist der Proller.“
„Propeller!“
„Besserwisser!“
Proller hin, Propeller her, das Modell findet Nachahmer, und man kann eine richtige Flugzeugflotte wachsen sehen. Fliegen ist schnell das beherrschende Baumotiv bei Hans und Franz und ihren Freunden. Die Kids lassen die bunten Lego-Maschinchen mit oder ohne Propeller in ihren Händen durch die Luft flitzen, Kurven und Loopings drehen und machen dabei mit ihren Stimmen Brumm- und Pfeifgeräusche, die Motorenlärm und Fahrtwind überzeugend nachahmen sollen. Sogar an eine Landebahn wird gedacht. Diese ist kurzerhand aus einem Winterschal gebaut, dessen Enden mit Reißzwecken im Parkettboden fixiert werden.
Manche sind noch unsicher, wie das geht mit dem Fliegen und dem Brummen und Pfeifen, so dass das aussieht wie in echt. Ein paar können es aber richtig gut, richtige Profis sind das, und man einigt sich, dass sie es denen, die es noch nicht so beherrschen, zeigen. Andere sind wieder im Bauen besser und helfen meisterhaft beim Reparieren, wenn was kaputt geht.
„Wir brauchen ein Haus für die Flugzeuge“, wirft bald jemand ein.
„Wieso ein Haus?“, lautet aus vielen Mündern die Gegenfrage.
„Hab ich mal gesehen. Aufm Flugplatz stehen die Flugzeuge wenn es regnet und dass sie keiner klaut immer in so einem großen Haus.“
Man diskutiert kurz und erachtet ein Haus für Flugzeuge als sinnvoll. Legosteinchen sind genug da, also baut man mit großem Eifer eines. Mit zwei ganz großen Türen dran, damit die Flugzeuge auch reinpassen. Man kann sogar das Dach runternehmen, so dass man drinnen die Sachen schön hin und her schieben kann. Kinder sind halt praktisch veranlagt. Die Türen kann man auf und zu machen, eine Funktion, die von allen begeistert ausprobiert wird. Bis, wie soll es anders sein, eine Tür nicht mehr so toll funktioniert.
„Die Tür ist kaputt, ich will eine neue“, ruft Franz.
„Ich will auch eine neue Tür!“
„Ja, eine neue Tür!“, kommt es aus mehreren Richtungen.
Das gemeinsame Ziel ist also klar. Aber schon wieder eine Tür zu bauen scheint nicht sehr attraktiv zu sein. Obwohl immer noch genug Lego da sind. Ein großer Teil der Jungs und Mädels sitzt plötzlich an dem Teller mit den Weihnachtskeksen. Trotzdem findet sich ein kleines Grüppchen zusammen, das sich an die Arbeit macht. Man hat keine Alternative, weil mittlerweile einer der Jungs mit seinem Lego-Bagger, den er mitgebracht hat, die zugegebenermaßen wirklich sehr kaputte Tür endgültig rausgerissen hat. Über die Farbe des neuen Tors wird man sich zunächst gar nicht einig.
„Blau ist doof! Wir machen rot.“
„Nö, rot ist doof!“
Und so weiter. Der Vorschlag „Lila“ wird sofort niedergeschmettert. Grundsätze der Demokratie haben in dieser Kinderschar ihre Geltung, und so wird mehrheitlich bestimmt, das neue Tor so aussehen zu lassen wie das andere, das noch so prima funktioniert. Eine komplizierte Sache ist das, man kann sehen, dass das Grüppchen lange, lange mit der Konstruktion beschäftigt ist, das Ergebnis wird sich aber absolut sehen lassen können.
Unvermittelt tut sich die nächste Frage auf. Der Keksteller ist nämlich plötzlich leer. Irgendjemand muss für Nachschub sorgen und den Teller wieder füllen.
„Ich war aber schon mal dran. Immer muss ich gehen“, mault der, den man damit beauftragt. „Geht ihr doch auch mal Kekse holen.“
Der Mangel am süßen Gebäck erzeugt in der Gruppe großen Leidensdruck. Es ist verständlich, dass nicht immer derselbe los will, um den Teller zu füllen, schließlich möchte er auch mal in Ruhe mit Lego bauen und damit was Schönes machen. Weil sich nun aber alle immerzu an den Plätzchen bedienen, siegt der Gedanke der Gerechtigkeit. Reihum darf jeder nach Hause flitzen und von dort neue Leckereien holen. Da sind alle wieder super glücklich, und bald man kann die kleinen Konstrukteure und Piloten zufrieden kauen sehen.
Inzwischen schwirren die Legoflieger wieder herum. Man kann schön beobachten, dass die, die es am Anfang noch nicht so toll konnten, immer bessere Flugfiguren mit immer schöneren Brumm- und Pfeifgeräuschen machen und dass sie das jetzt fast alle ganz alleine können. Ein paar von ihnen wird das Hans-und-Franz’sche Wohnzimmer ein wenig eintönig. Sie wollen mal wo anders herumtoben als immer nur hier um den Christbaum herum und beschließen, ihre Spielsachen ein paar Häuser weiter eine Zeit lang auszuprobieren. Genau da hin verschwinden sie eine Weile mit ihren Legos und kommen freudestrahlend wieder zurück.
„Ätsch, wir haben unsere Sachen in der anderen Straße zeigen dürfen“, gibt einer an.
„Pff, aber nur welche ohne Propeller“, kommt die Antwort. „Ich und die andern da gehen jetzt auch ganz weit weg, viel weiter als ihr. Und wir nehmen welche mit Propeller.“
Gerade will man los, da schauen die Eltern von Hans und Franz vorbei und bringen gleich einen ganzen Schwung neugierige Verwandte und Bekannte mit. Wahrscheinlich Feiertagsgäste. Die sind alle total begeistert, lassen sich von den Kiddies, die bei dem Besucheransturm ganz aufgeregt sind, alles erklären, dürfen sogar mal eins der stolz vorgezeigten Legoflugzeuge in die Hand nehmen und naschen zwischendurch auch reichlich aus dem Keksteller. Den sie ein paarmal ratzeputz leer machen.
Als alle Onkels und Tanten dann endlich weg sind, machen sich die Ausflügler auf den Weg und bleiben auch eine ganze Zeit lang fort. Nachdem sie zurück sind, erzählen sie die tollsten Geschichten, was sie alles erlebt haben. Überhaupt herrscht ein Kommen und Gehen. Es scheint sich weit herum gesprochen zu haben, was für eine tolle Legoparty hier stattfindet. Mal kommen Kinder vorbei mit eigenen Spielsachen, einige nur kurz, andere für eine ganze Weile. Ein andermal kommen auch welche einfach so, zum Gucken und Anfassen.
Trotzdem scheint es einigen langweilig zu werden. Kinder wollen eben Abwechslung im Spiel.
„Ich will einen neuen Flieger bauen“, ruft einer. „Einen ganz großen. Wo man zwei so Männchen reinsetzen kann.“
„Da ist aber kein Lego mehr“, so die ernüchternde Erkenntnis.
Tatsächlich sind fast alle Bauklötzchen weg. Ein paar haben die fleißigen Baumeister schlauerweise übrig gelassen, falls mal was entzwei geht. Schon fängt einer an, eines der Flugzeugchen auseinander zu nehmen, um wieder neues Baumaterial zu haben, aber er bekommt es sofort aus der Hand gerissen.
„Das machen wir nich kaputt, das ist ein toller Flieger“, heißt es.
Mit anderen Modellen ergeht es genau so. Jetzt ist eine echte Zwickmühle entstanden. Einerseits ist neues Spielzeug gewünscht, andererseits gibt es das nur, wenn man was dafür hergibt. Man kann zwar in der Nachbarswohnung Weihnachtsgebäck gegen ein paar neue Legosteine eintauschen, trotzdem reicht es hinten und vorne noch nicht. Manche finden einen „ganz großen“ Flieger sowieso nicht gut und würden lieber kleine bauen. Einer hat dann die Idee, dass, wer möchte, von daheim noch ein paar Klötzchen holt zum was neues Bauen und sie später wieder zurück kriegt. Man würde also alles alte Spielzeug erst mal behalten UND ein neues bauen können. Es mangelt nicht an allerlei weiteren Vorschlägen, und so manch einer zieht sich aus der Diskussion ganz zurück.
Wir erfahren leider nicht, wie es weiter geht, denn langsam, aber sicher neigt sich der Spieltag unterm Christbaum dem Ende zu. Für die Knirpse ist es Bettzeit, darum müssen wir sie nun verlassen. Vielleicht ergibt sich einmal wieder die Gelegenheit, weiter zu beobachten, was sie mit ihren Legosteinchen so alles anstellen. Spannend wäre das schon, denn jetzt sind wir doch neugierig geworden, wie es weitergeht.