So halbiert man die Außentemperatur
Es ist Anfang Juli. Deutschland klagt über die Hitzewelle. Bei 38° im Schatten macht auch das Fliegen keinen Spaß mehr. Daraus ergibt sich die Frage: Wohin soll die diesjährige Boys Tour gehen? Klammheimlich haben wir schon seit Wochen das Wetter in England beobachtet, und jetzt sieht es so aus, als ob es mit unserem Traumziel klappen könnte. Englands Südküste würde in den kommenden Tagen eine für dortige Verhältnisse außergewöhnlich stabile, sonnige Wetterlage aufweisen, und das bei angenehmen Temperaturen. Bei dem recht kurzen verfügbaren Zeitfenster ist das wichtig, weil jeder von uns seine Lebensplanung mit Broterwerb und/oder Familie hat. Rechtzeitig zurückkommen, das ist die Kunst bei der Sache. |
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.... in Zweierformation in einem weiten Bogen durch die französischen Tiefflugzonen. Formationsfliegen erfordert zwar höhere Konzentration, bietet aber den Vorteil, dass der Funkverkehr über eine Maschine abgewickelt werden kann, denn die Kommunikation ist durch das manchmal kaum verständliche Englisch der französischen Fluglotsen etwas anstrengend. Für Frank, der ja irgendwie schon auf der ganzen Welt im Flugzeug unterwegs war, aber kein Problem. Was auch ein bisschen nervt, ist der Umstand, dass Tante Paula in einem bestimmten Drehzahlbereich nicht betrieben werden darf, man ist immer entweder schneller oder langsamer als die EIMY. Navigatorisch gibt es keine Sorgen, schließlich sind wir elektronisch hochgerüstet bis an die Zähne. So etwa ein GPS-Gerät pro Nase. Damit jetzt kein falscher Eindruck entsteht: Der Finger auf der Papierkarte geht immer mit. Nächste Station ist der Flughafen Calais-Dunkerque (LFAC). Bei den dortigen Spritpreisen von 1,71 Euro incl. Steuer (ja, wirklich!) wird bis Unterkante Einfüllstutzen alles voll getankt. | |
Endlich geht es hinüber auf die Britische Insel. Eine Überquerung des Ärmelkanals im Flugzeug ist heute keine Pioniertat mehr wie 1909 zu Zeiten von Louis Blériot, der damals 37 Minuten für die Strecke gebraucht hat. Trotzdem ist es ein erhebendes Gefühl, wenn die Kreidefelsen von Dover aus dem Dunst auftauchen. Wir fliegen von Dover Richtung Westen und folgen in niedriger Höhe von 1500 bis 2000 Fuß der geschwungenen Küstenlinie, passieren Hastings und Eastbourne. Einfach herrlich, diese weißen Steilklippen, die bald von langen Sandstränden abgelöst werden. Nur wenige Wolken stehen über dem Festland, unter uns glitzert das türkisfarbene Meer. Der Funkverkehr mit den Briten hat auch so seine Eigenarten. Nach dem Einleitungsanruf kommt immer der Spruch vom Controller: „xy Information, Delta-Mike-Yankee, pass your message.“ Irgendwie schafft das eine besondere Atmosphäre. | |
Jedenfalls sind nun klare und präzise Meldungen gefragt, schon wegen der unübersichtlichen Luftraumstruktur und der vielen Flugbeschränkungszonen. Bald taucht rechter Hand das alte Seebad Brighton auf. Draußen vor dem Strand sieht man noch das übrig gebliebene Stahlgerippe des 2003 von einem Feuer verwüsteten berühmten West Pier aus den Wellen ragen und vor sich hin rosten. Eine Wiederherstellung des historischen Bauwerks haben die Engländer bis heute nicht finanzieren können. Nach Passieren der Landspitze von Selsey liegt nach nicht einmal fünf Stunden reiner Flugzeit das geplante Tagesziel vor uns, die Isle of Wight. |
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Auf der 35 km² großen, der Küste bei Southampton vorgelagerten Insel gibt es zwei Landemöglichkeiten. Sandown (EGHN) ist sicherlich die interessantere Variante. Es bläst ein ziemlich kräftiger Wind, was die Landung auf der langen Graspiste recht sportlich geraten lässt. Nicht weit von der Pistenschwelle steht zudem ein mit Hecken bewachsener Hügel ein bisschen im Weg herum. Erst einmal gelandet, ist alles ganz unkompliziert. Unsere beiden Flugzeuge werden an Bodenankern festgezurrt, die Zelte gleich daneben aufgeschlagen. Die Lufttemperatur beträgt übrigens 20 bis 22 Grad Celsius, und somit ist uns die Halbierung der heimischen Temperaturen gelungen. Mission erfüllt, könnte man sagen. So kann man es aushalten, während die daheim Gebliebenen per SMS und in WhatsApp Mitleid erregend über die schlimme Hitzewelle klagen. Eine kleine Flugplatzkneipe lockt mit Kaffee, kalter Limo und allerlei Tipps, wo man ein Abendessen bekommen könnte. Nebenbei erfahren wir, dass in einem der Hangars gerade drei Spitfire aus dem 2. Weltkrieg restauriert werden. So etwas kann man sich natürlich nicht entgehen lassen. Leider lässt man uns nicht hinein, es ist nur von außen ein Blick in die Werkstatt möglich, in der Rümpfe, Tragflächen und Leitwerksteile der historischen Schätze auf Hellings gelagert bearbeitet werden. |
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Danach folgt erfrischender Fußmarsch ins nahe gelegene Küstenstädtchen Sandown, wo schnell ein Pub mit Terrasse inklusive Meerblick gefunden ist; eine gute Gelegenheit, die ersten Berührungsängste mit der englischen Küche abzubauen. Man wird satt, es schmeckt gar nicht übel, und ein Ale gehört auch dazu. Die kulinarischen Erfahrungen werden am Morgen darauf am Flugplatz um ein „All Day Breakfast“ mit Würstchen, gebackenen Bohnen und Spiegelei erweitert. Gewöhnungsbedürftig, wenn der Meinung ist, ein Frühstück habe aus Semmeln mit Marmelade zu bestehen, aber es ist schmackhaft und mit gefühlten 5000 Kalorien gründlich sättigend. |
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Am Samstag ist die Wetterlage noch stabil. Als nächste Etappe entscheiden wir uns für den kleinen Flugplatz Bolt Head (GB-0052) etwa eine Flugstunde weiter westlich. Nach dem Abheben in Sandown geht es hinaus aufs Meer. Brav brummen die Triebwerke vor sich hin, und Pilot und Besatzung dürfen sich wieder an Perspektiven satt sehen, die man nur in einem Kleinflugzeug aus dieser Höhe hat. Allein die Westspitze der Isle of Wight mit der genau der Küstenlinie folgenden Wolkenbank ist so faszinierend, dass die Kameras keine Sekunde zur Seite gelegt werden. An Bournemouth, Sidmouth und dem Touristenstädtchen Torquay vorbei nähern wir uns dem Tagesziel. |
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Bolt Head ist einer von vielen Flugplätzen dieser Art in England. Einen Flugleiter gibt es hier schlicht und einfach nicht. Man überfliegt den Air Strip, so man ihn denn gefunden hat, um anhand des Windsackes die Landerichtung festzulegen, setzt auf der Frequenz 135,475 seine Positionsmeldungen ab und landet. In Bolt Head ist es wichtig, den richtigen Landestreifen zu nehmen, weil genau parallel zur Piste ein wunderschönes Getreidefeld mit etwa gleicher Breite verläuft, das aus der Luft mit einer Landebahn durchaus verwechselbar ist. In der Woche zuvor ist zwei Piloten die Unterscheidung nicht so recht gelungen, die traurigen Überreste stehen nun in Form zweier Wracks versteckt hinter einem Gebäude. Zufällig ist heute jemand am Platz, ein älterer Herr, der uns gleich den kleinen Hangar aufschließt und interessantes über die Flugplatzgeschichte zu erzählen weiß. Hier war nämlich im zweiten Weltkrieg eine Air Base mit zwei langen, gekreuzten Pisten, was er uns anhand von aus einer Kiste gezauberten historischen Fotos demonstriert. |
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Danach heißt es wieder Flugzeuge vertäuen, Landegebühr in einen kleinen Kasten werfen, Schlafplatz suchen. Übernachten werden wir dieses mal auf einem nahe gelegenen, sehr gepflegten, kleinen Campingplatz für fünf Pfund pro Nase. Da kann man nicht klagen, außer vielleicht über den Umstand, dass man bepackt mit Zelt, Schlafsack u.a. etwa zwei Kilometer dahin laufen muss. Wir sind nun in der Grafschaft Devon mit ihren faszinierenden Steilküsten und den sanft gewellten Weiden im Hinterland. Man muss es selbst erlebt haben, ob aus der Luft oder am Boden, es ist noch viel beeindruckender sind als es die schönste Fernsehserie wiedergeben kann. Ein Fußmarsch auf dem wild-romantischen Küstenwanderweg führt uns zum Barbecue-Restaurant The Winking Prawn am Salcombe Beach und später in das kleine Hafenstädtchen Salcombe. Solche Ortschaften haben ein ganz eigenes typisches Flair, sie sind klein und verwinkelt, die Pubs locken mit gemütlichen Sitzplätzen. |
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Heute Abend wird nach der Sperrstunde der gravierenden Nachteil unserer Art des Reisens deutlich: angewiesen zu sein auf fremde bodengebundene Verkehrsmittel. Aufmerksam Lesende haben sicherlich bemerkt, dass bis hierher schon mehrfach die Rede von der Fortbewegung zu Fuß war. Da darf man sich doch auch mal ein Taxi leisten. Wenn es eins gäbe. Dass in Salcombe zwei Taxiunternehmer mit großen Plakaten um Kundschaft werben, hat nämlich nichts zu sagen. Der eine erklärt am Telefon, dass er die ganze Nacht kein Fahrzeug mehr frei habe, der andere meint, er sei grade auf einer „Wedding Party“ und könne deswegen leider nichts für uns tun. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als in stockdunkler Nacht bei Taschenlampenschein ein paar Kilometer zum Campingplatz zurück zu laufen. Christoph marschiert mit Hilfe von Siri vorneweg, und spät in der Nacht erreichen wir mit dampfenden Klamotten wieder den Higher Rew Camping Park. |
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Tags darauf zeigt sich, dass langfristige Wetterprognosen ihre Tücken haben. Tiefe, immer dichter werdende Wolkenfelder ziehen durch, es regnet immer wieder leicht. Beim Frühstück auf einer bewirtschafteten Farm - es gibt traumhafte, frisch gebackene, noch warme Scones mit Clotted Cream - werden Pläne für den Tag entwickelt und wieder verworfen. Letztendlich nutzen wir einen günstigen Zeitpunkt, um den geordneten Rückzug Richtung Osten anzutreten. Weil es uns auf der Isle of Wight so gut gefallen hat und ein anderes interessantes Air Field an der Küste geschlossen hat, fliegen wir eben wieder zurück nach Sandown. So langsam ist es Routine: Landen, verzurren, Zelt aufbauen, Mittagsschläfchen halten im Schatten der Tragfläche. Irgendwann am Nachmittag schießt einfach mal so aus heiterem Himmel eine alte Spitfire im Tiefstflug über die Piste und verschwindet wie ein Gespenst wieder Richtung offene See. So etwas gibt’s wahrscheinlich nur in England. Abends geht es in das Städtchen Shanklin, selbstverständlich zu Fuß. Noch ist es sehr ruhig in dem Ort, aber die vielen Restaurants, Spielhallen und ein Vergnügungspark lassen ahnen, wie es in wenigen Wochen nach Beginn der englischen Schulferien hier aussehen wird. Begleitet vom Rauschen der Brandung und dem Geschrei der Möwen können wir jedenfalls noch in Ruhe vor einer beschaulichen Strandkulisse einmal austesten, was es mit diesen berüchtigten Fish and Chips auf sich hat. |
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Tags darauf fliegen wir zunächst zurück nach Calais. Merkwürdigerweise antwortet Calais Tower nicht auf unsere Funkerei. Vielleicht sitzt der Lotse grade am Mittagstisch. In Frankreich ist das offenbar völlig normal an einem internationalen Flughafen, dann landet man halt ohne Towerlotsen. Natürlich wird wieder bis zum Stehkragen Avgas getankt, bevor wir uns auf den Weg nach Lachen-Speyersdorf (EDRL) machen. Diesen Platz am Rand des Pfälzer Waldes kennt noch keiner von uns. Wie sich heraus stellt, ist er einen Besuch wert. Zelten ist kein Problem, man bekommt sogar ein Taxi. Leider artet das in eine kleine Irrfahrt aus, weil alle Kneipen, die der Taxifahrer für geeignet hält, geschlossen haben. Am Ende geraten wir ins Zentrum von Neustadt/Weinstraße und lassen es uns da noch mal gut gehen. Bei der Rückkehr zum Flugplatz (mit dem Taxi!) sitzen dort ein paar Leutchen in der lauen Abendluft, und es wird noch einmal sehr nett. |
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In der Nacht ist es noch so warm, dass man mit Isomatte und Schlafsack unter freiem Himmel bleiben kann. Am Mittag des folgenden Tages, mittlerweile ist es Dienstag, treffen wir wieder in Hammelburg ein. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass wir planerisch alles richtig gemacht haben, denn am Abend ziehen heftige Unwetter über Unterfranken. Es war wieder einmal eine wunderbare Boy’s Tour in einer kleinen, harmonischen Truppe, die nun um viele Erfahrungen reicher ist und mehr Anekdoten zu erzählen weiß, als man hier unterbringen kann. |